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Rüdiger Dillo schreibt regelmäßig Kolumnen in der “SZ” und in der “Zeit”. Kurz vor unserem Jubiläum besuchte er Pjotr auf dem Einberg und schrieb dann zwei Kolumnen. Ich lasse die trotz einigem bedenklichen Kopfschüttel besonders der angeblich “Gebärfreudigen” einfach mal unkommentiert stehen. Immerhin sind diese Geschichten schon geschrieben und wer Andere will, muss schreiben.
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Absender:"Rüdiger Dilloo" <dilloo@ginko.de> Empfänger:<anurakta@t-online.de> Datum:03. Sep 2003 17:04 Betreff:Kolumnen
Hi there, jetzt seh ich beim schreiben der zweiten einberg-kolumne gerade deine mail-adresse in meinen notizen. Die erste wirst du gelesen haben, sie wurde redaktionell gekürzt, was sehr selten und nie unverzeihlich vorkommt, trotzdem immer ärgerlich ist. Hier ist sie in originallänge, und die zweite dazu. Das foto zu letzterer: ein polaroid von den hinweisschildern oben an der hauptstraße, wo´s runtergeht zu euch. Ich hoffe, euch wiedermal zu sehen. Ihr macht das schon richtig. Herzlich: Dilloo
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Kolumne aus der “SZ” vom 28.8.2003 Stadt Land Dorf Peter der Fuchs Von Rüdiger Dilloo
Hinter Neuötting, wo es vom fetten Inntal nach Norden hinaufgeht ins beinige Hügelland, wo das Strassl gaache Kurven reißt hinum und herum und nunter und nauf, wo die Häusln sich ins Gelände beißen wie Zecken indie Arschfurche und die Sommersonne grad schauen muss, dass sie überall hinkommt zu den Fleckerlfeldern, dort, wo die Weiler Hintereck und Triefling heißen, Hirschhorn und Fuchshub, Hubwies, Altwies, Einöd, Untreu und Ehgarten, Winiham, Rogglfing, Berg, Thal, Büchl, Taal, Wald, Waldberg, Hennthal, Siedelsberg, Lacken und Letten und Leiten, dort, wo niederbayrische Freiheitskämpfer, sollten sie sich je gegen Biersteueroder US-imperialistischen Jeanszwang erheben müssen, wie der Che inBolivien sich jahrelang verstecken könnten, oder jedenfalls bis dieHubschrauber mit den Wärmebildkameras kämen - dort lebt, im hintersten Eck eines winkligen, im Abseits des Abseits situierten Tälchens, seit 30Jahren, idyllisch und zufrieden, Peter der Fuchs. In München hat es ihm irgendwann nicht mehr gefallen. Letzte Woche kam die Polizei zum Peter, das ist dumm gelaufen. Er schaukelte mittags in der Hängematte auf dem selbstgebauten Balkon, hoch über dem Biotop üppiger Fauna und fantastischer Architektur, das in drei Jahrzehnten auf seinem Grund herangewachsen ist, er ließ eine Hand träge die Büten und Blätter der Topfpflanzen neben sich streifen und zog ihren Duft in die Nase, als das grünweiße Auto in den Hof fuhr. Sie kamen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Bei Peter dem Fuchs leben zwei Dutzend Erwachsene und ein Dutzend Kinder, drei Generationen. Einer der Burschen war zu schnell gefahren, irgendwo auf der Rennpiste zwischen Reischach und Eggenfelden. Sie sahen die Pflanzen und schnitten sie ab, ohne sich aufzumanndeln. Ja mei. Du weißt es ja, des muass weg. Peter lacht über die Episode, ein ungekünsteltes Lachen, das alle paar Minuten aus seiner Wampe nach oben zu drängen scheint: Seit 30 Jahr rauch ich mein eigenes Zeug, und nie ist was gewesen, vor zwei Jahr hab ich aufghört, jetzt kommen s´ daher. Es erinnert ihn an die Sache mit den Geländern, irgendwann ist, wegen ganz was anderem, hahaha, einer von der Bauaufsicht in Pfarrkirchen gekommen, sie haben ja all die Jahre ihr Sachl ingeniös umgebaut und angestückelt, vergrößert und erweitert, mit Durchlässen, Treppen und Treppchen die vielen Ebenen bis hinauf zum Dachfirst untereinander verbunden, ingeniös, ohne Pläne - und nirgends, nirgends waren Geländer! Dem Bauaufsichtler wurde richtig schlecht. Sie hatten Mitleid. Sie haben noch am selben Tag in Windeseile überall Geländer hingespaxt. Und prompt kam Nelle, Peters Tochter, auf einer der neuen Installationen herumturnend,richtig bös, und das hatte es auf den Treppen nie gegeben, zu Fall. So viele Gschichtln. Peter ist 55, in der Miesbacher Gegend geboren, Ende der sechziger Jahre hat er in München Soziologie studiert. Vor Prüfungen wurden am Uni-Brunnen Wasserpfeifen auf Rotweinbasis geraucht. Die Frage, die ihn und seinen Freund Jürgen damals umtrieb, lautete: Machen wir Revolution? Oder gleich das, was danach kommt? Sie entschieden sich für letzteres. Und gründeten das „Institut für Friedens- und Freizeitforschung“, eine seriöse, ihren füchsischen Plänen sehr dienliche Fassade. So viele Gschichtln! Wir müssen sie nächste Woche fortsetzen: Wie von Berg am Laim aus die McGraw-Kaserne versorgt wurde und man in A´dam auf Trip die Grünen erfand. Wie Schamböck der Makler zur schönen schwangeren Dorle sagte, I bin fei impotent, und das Haus dann für ganze 3000 Mark Bargeld herging. Warum Peter der Fuchs nie mehr arbeiten muss.
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Kolumne “SZ” vom 4.9.2003 Stadt Land Dorf Zur Utopie links abbiegen Von Rüdiger Dilloo
Schöne, gebärwillige Frauen fühlen sich bekanntlich - ebenso wie weniger schöne Frauen und Vogelweibchen, aber das ist hier nicht der Punkt - angezogen von Männern, die ein Haus respektive Nest bauen können. Im bürgerlichen Normalfall heißt das: von Männern, die genug verdienen, um ein Haus bauen lassen zu können. In den unbürgerlichen Kreisen, von denen wir hier sprechen, ist die Aussage dagegen wörtlich zu nehmen. Du weißt, wie man ein Fundament betoniert? Du kannst eine Ziegelwand mauern? Einen Dachstuhl zimmern, Fenster, Türen und Treppen schreinern? Und alles mit dem bisschen Geld, das wir haben? Dann komm, Geliebter, in meinen Schlafsack. Peter der Fuchs, von dem letzte Woche schon die Rede war, hat sich handwerkliche Fähigkeiten beigebracht in den letzten 30 Jahren. Das gleiche gilt für Ronnie, Anurakta, Kamlesh und die anderen Männer, die im Zwiethal, der versteckten Landkommune zwischen Neuötting und Eggenfelden leben - zusammen mit auffallend vielen schönen Frauen. Peter, der einstige Münchner Soziologiestudent, werkelt gerade am neuesten Anbau, einem türkischen Dampfbad mit Glasveranda, auch im Hinblick auf Arthrose und andere Altersbeschwerden, die die Bewohner zu plagen beginnen. Der Mann hat etwas unvermutet Fürsorgliches: ein Fuchs nach aussen, ein Kümmerer nach innen. Pater communae. Ronnie hingegen bastelte was Neues für die Kinder: Droben in den Bäumen des blickdicht hochgewachsenen Biotops hat er ihnen eine Schlafplattform gebaut. Auch bei Tag sind sie gern oben. Die Mütter freut´s, sie sitzen unweit an den Gartentischchen des Cafe Calypso, das Ronnie - aber das muss jetzt bitte unter uns bleiben - im Zwiethal betreibt. Sehr hübsches Ensemble, bisschen wie ein Strandcafe in Goa. Und alles selbst gebaut. Vor kurzem habe ich hier von meinen Nachbarn im Chiemgau, der bäuerlichen Großfamilie berichtet. Uroma, Großeltern, Eltern und zweijähriges Kind unter einem Dach: blutsverwandt, schicksalhaft, das traditionelle Familienmodell. Schön, wenn es harmoniert. Höllisch, wenn trotz Hass und Verachtung zusammengeblieben werden muss. „Die selbst gesuchte Familie -“, sagt U, eine der Frauen vom Zwiethal, „deswegen lebe ich in der Kommune.“ U heißt U, bitte keine Fragen, auch die selbst gesuchten Namen sind ein Ausdruckder Abnabelung.Peter (der sich Pjotr nennt) hatte eher finanzielle Gründe. Er wollte ein Haus auf dem Land,aber es allein zu kaufen, wäre viel zu teuer gewesen: „Da hätt ich mich an einen Arbeitgeber verkaufen müssen. Die gemeinsam finanzierte Kommune war der einzige Weg.“ Sie waren zu zehnt, jede und jeder garantierte für 10 000 Mark. 70 00 kostete Zwiethal, das Bauernsachl mit Grund, das ihnen der legendäre Pfarrkirchner Makler Schamböck für 3000 Mark Bares zuschanzte, charmiert von der schönen, schwangeren Dorle, die später,aber das ist eine andere Geschichte, nackt unter einem indischen Wasserfall für eine jener gern gelesenen „Stern“-Reportagen über Aussteiger und mystischen Megasex beim Baghwan posierte; das Foto,heute komisch in seiner arrangierten Verzückung, hängt bei Pjotr an der Wand. Pjotr der Fuchs hat seine 68er-Utopie von alternativer Familie und selbstbestimmter Arbeit verwirklicht. Er besitzt in München ein Taxi, von den Erträgen kann er leben, ohne selbst noch fahren zu müssen. Er hat nie einen Pfennig Staatsknete bezogen. Er ist schlau umgegangen mit der Gesellschaft, aber nicht ehrlos. Seine Landkommune, seine Großfamilie hält bei aller Fluktuation seit drei Jahrzehnten zusammen - nicht selbstverständlich in der Szene. Und die anderen Gschichtln? Vom Dope und den Trips und den kiffenden Cops in Berg am Laim? Ach lassen wir das. Tempi passati.
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